9. Oktober 2010

Zur Schuldenquote
Sind Staatsschulden gefährlich?

 

 

Das sollten wir nicht vergessen:
I. Die Verschuldung eines Staates wird in der Regel gemessen am Verhältnis der
Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das ist die Schuldenquote.
II. Die Höhe der Staatschulden oder der Schuldenquote ist eigentlich eine
unwichtige, allein nicht aussagekräftige Kennzahl. Denn allein wichtig ist die
Frage, ob es einem Staat gelingt, zum Zeitpunkt der Rückzahlungspflicht von
Schulden eine Anschlussfinanzierung sicherzustellen.
III. Die Haushaltspolitik eines Staates folgt nach anderen Kriterien als bei der
Verschuldung einer Familie und funktioniert auch anders als die
Haushaltsplanung einer Familie.
IV. Eine Familie kann in Insolvenz gehen, ein Staat aber bleibt bestehen, unabhängig
von der Höhe seiner Schulden.

Was bedeutet das nun für uns?
1. Wenn jemand sagt, ich will keine privaten Schulden machen, dann ist das bei
Privatpersonen zu respektieren.
Ein derartiges Verhalten muss aber trotzdem nicht ökonomisch sinnvoll sein;
weder privat noch für einen Staat, ein Parlament (Bundestag, Landtag, Kreistag).
2. Das führt zu der Frage: Warum werden dann aber heute sinnvolle Investitionen in
die Zukunft verschoben; geschieht das aus reiner Spar-Ideologie, um bestimmte,
nicht offen benannte Ziele zu erreichen?
3. Warum wird in der öffentlichen Diskussion so viel Wert gelegt auf die
Schuldenquote?

Die Höhe der Staatsverschuldung als politischer Hebel
4. Argumentiert wird meistens mit dem Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt,
da – wählerorientiert – der normale Mensch leichter von einer Sparpolitik der
Regierung zu überzeugen ist, wenn mit der „Logik des Sparens einer
schwäbischen Hausfrau“ argumentiert wird, da ja ein Familienhaushalt auf Dauer
nicht mehr ausgeben kann als verdient wird. So weit, so gut; so weit, so richtig.
Aber bei dieser Argumentation wird unterschlagen, dass ein Staat mit seinem
Staatshaushalt nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniert als ein
Privathaushalt.
Das hat auch Merkel gewusst, als sie 2008 die „schwäbische Hausfrau“ als ein zu
lobendes Beispiel angeführt hat 1 . Anders formuliert: Sie hat damals nur die halbe
Wahrheit gesagt oder sogar gelogen.

Die Schuldenquote eines Staates allein ist wenig aussagekräftig.
5. Beispiele für diese Aussage sind:
a. Die Staatsschuldenquote von Japan liegt derzeit bei 200% des (BIP). Das
stört keinen. Japan ist nicht pleite. 2
b. Argentinien war 2014 mit einer Schuldenquote von unter 60% ein
ökonomisches Musterbeispiel, aber leider pleite. 3
c. Die deutschen Staatsschuldenquoten bewegten sich abnehmend von
81,8% (2010) bis 60,9% (2018) 4 , lagen und liegen damit immer noch über
dem vereinbarten Maastricht-Kriterium vom 7. Februar 1992, nach dem die
Schuldenquote eines Staates nicht mehr als 60% des BIP betragen darf.
Es interessierte letztendlich keinen Ökonomen und auch die Regierung
nicht.

Hohe Schulden müssen für eine Volkswirtschaft also nicht immer schädlich sein.
Was zählt ist das, was ein Land oder ein Kreis oder eine Gemeinde mit dem
geliehenen Geld macht, wofür das Geld investiert oder ausgegeben wird.
6. Die Schuldenquote ist als Kennzahl gut zu gebrauchen zur Durchsetzung von
kapitalorientierten Interessen und zur Disziplinierung von Staaten, Regierungen
und der Bevölkerung.

M.K, 09.10.2010


Begriffserläuterungen zum Text
Die Staatsschuldenquote, oder auch Schuldenquote ist eine Kennzahl , die das Verhältnis
zwischen den Staatsschulden und dem nominalen Bruttoinlandsprodukt eines bestimmten Staates
ausdrückt; also hat z. B. ein Staat Schulden in Höhe von 60% des Bruttoinlandsprodukts. Diese
Kennzahl stellt die Höhe der Schulden eines Staates seiner Wirtschaftsleistung gegenüber.
Wenn diese Kennzahl dazu benutzt wird, um politisch zu begründen, inwieweit die Höhe der
Staatsschulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung eines Staats noch tragfähig ist, dann wird bereits
eine – politisch „willkürliche“ – interessengelenkte Annahme zugrunde gelegt.
Das gilt z. B. für die Aussage:
„Liegt die Staatsschuldenquote (in Deutschland, Argentinien, Griechenland, … ) höher als 60 % des
Bruttoinlandsprodukts, dann sind die Staatsschulden zu hoch und verursachen volkswirtschaftliche
Risiken.“
Nominales Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) gibt den Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen an,
die in einem Land als Endprodukt in einem Jahr hergestellt wurden. Zugrunde gelegt werden die
aktuellen, gezahlten Marktpreise.


1 Angela Merkel auf dem CDU-Bundesparteitag 2008.
2 Vgl. Rolf Morrien, Japan: Reformpolitik sorgt für neuen Schwung am japanischen Aktienmarkt.
https://www.gevestor.de/details/japan-reformpolitik-sorgt-fur-neuen-schwung-am-japanischen-
aktienmarkt-678276.html, 06.09.2019.
3 Vgl. Rainer Voss, Die schwarze Null ist reine Ideologie. Interview im Deutschlandfunk vom
20.10.2014, Deutschlandfunk Kultur, https//www.deutschlandfunkkultur.de/sinkendes-wachstum-die-
schwarze-null-ist-reine-ideologie.1008.de.html?dram:article_id=300786
4 Deutsche Bundesbank, 29.03.2019. https://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/deutsche-
staatsschulden-783598.